Querfeldein denken mit Lucius Burckhardt
Anfang der 1980er-Jahre tauchte der Begriff „Spaziergangswissenschaft“ in der Burckhardtschen Forschung zum ersten Mal auf.
„Wir sind mobil wie nie zuvor, und das hat Folgen für unsere Wahrnehmung.“
„Wir führen eine neue Wissenschaft ein: die Promenadologie oder Spaziergangswissenschaft. Sie gründet sich auf die These, dass die Umwelt nicht wahrnehmbar sei, und wenn doch, dann aufgrund von Bildvorstellungen, die sich im Kopf des Beobachters bilden und schon gebildet haben. Der klassische Spaziergang geht vor die Mauern der Stadt, in die Hügel, an den See, auf die Klippen. Der Spaziergänger durchquert eine Reihe von Orten […] Am Schluss, nach Hause zurückgekehrt, erzählt der Spaziergänger, was er gesehen hat. […] Dabei beschreibt er keinen der durchquerten Orte, den Wald, das Flusstal, schon gar nicht die Fabrik oder den Müllplatz, sondern er beschreibt integrierte Landschaftsbilder. Die Wahrnehmung beruht auf dem kinematografischen Effekt des Spazierengehens.“
Das Spazierengehen ist die „natürlichste“ und einfachste Art, sich eine Landschaft oder eine Stadt zu erschließen. Allerdings spazieren wir heute nur noch selten durch die Welt; selbst wenn wir wandern wollen, steigen wir zunächst einmal ins Auto, das uns in den Wald oder auf den Berg bringt.
Wahrnehmung beruht auf dem kinematografischen Effekt eines Spaziergangs, wie es schon die englischen Landschaftsgärtner mit ihren Rundwegen und angelegten Perspektiven wussten. Einzelne Sequenzen des Gesehenen werden im Kopf abgespeichert und wir sprechen, nach Hause zurückgekehrt, von typischen Landschaften und Regionen.
„Landschaft wahrzunehmen muss gelernt sein. Das gilt sowohl historisch wie individuell. Unser Kulturkreis wurde befähigt, Landschaft wahrzunehmen, weil die römischen Dichter, weil die Maler der Spätrenaissance, weil die englischen Landschaftsgärtner Landschaft darzustellen verstanden. Landschaft also ist ein kollektives Bildungsgut. Diesen Lernprozess müssen wir aber auch individuell durchmachen…“