An Lou Andreas-Salomé
Paris, 17 Rue Campagne-Première
am 8. Juni 1914
Liebe Lou,
da bin ich wieder einmal, nach einer langen, breiten und schweren Zeit, einer Zeit, mit der wieder eine Art Zukunft vorüber ist, nicht stark und ehrfürchtig aufgelebt, sondern zu Ende gequält, bis sie zugrunde ging (worin mirs ja nicht so leicht einer nachtut). Wenn ich manchmal in den letzten Jahren mich dahin ausreden durfte, daß gewisse Versuche, im Leben selbst menschlicher und natürlicher Fuß zu fassen, deshalb fehlgeschlagen wären, weil die Menschen, um die es sich dabei handelte, mich nicht verstanden, mir, eins über das andere, Gewalt, Unrecht und Schaden angetan und mich so fassungslos gemacht hätten -, so bleib ich nun nach diesen Monaten Leidens ganz anders gerichtet zurück: einsehen müssend diesmal, daß keiner mir helfen kann, keiner; und käme er mit dem berechtigtsten, unmittelbarsten Herzen und wiese sich aus bis an die Sterne hinan und ertrüge mich,… – rilke.de + http://www.rilke.de/briefe/briefe_index.htm