Obwohl es sich hier nicht um einen Seelenführer handelt, kann man die Rolle des Priesters, der zum Gebrauch des Abgeschiedenen rituelle Texte über die Reisewege nach dem Tode rezitiert, mit der Funktion des altaischen oder goldischen Schamanen vergleichen, welcher den Toten auf symbolische Weise ins Jenseits begleitet. Dieses bar-do thos`grol stellt eine Zwischenstufe zwischen dem Bericht des seelengeleitenden Schamanen und den orphischen Täfelchen dar, welche dem Abgeschiedenen nur summarische die guten Richtungen für seine Reise ins Jenseits anzeigten.
Ein tibetanisches Manuskript aus Tuen-huang mit dem Titel Darstellung des Weges der Toten beschreibt die Richtungen, die zu meiden sind, an erster Stelle die „Große Hölle“ tief unter der Erde, deren Mitte aus flammendem Eisen besteht. „Drinnen im Eisenhaus, in den Höllen quälen und plagen unzählige Dämonen (raksasa) durch Brennen, Braten und in Stücke schneiden.“ (Die von den raksasa ausgeübten Folterungen erinnern in allem an die Initiationsträume der sibirischen Schamanen)
Unterwelt, Welt und der Berg Meru liegen auf derselben Achse und der Abgeschiedene wird aufgefordert, sich direkt zum Meru zu wenden, auf dessen Gipfel Indra und 32 Diener die“Hinübergehenden“ auslesen. Unter dem Firnis buddhistischer Vorstellungen erkennt man hier unschwer das alte Schema der Axis Mundi, die Verbindungen zwischen den drei kosmischen Zonen und den Wächter, der die Seelen aussondert.
Mircea Eliade – Schamanismus und archaische Extasetechniken, Seite 410 – Suhrkamp 1975 – ISBN 3-518-27726-X